Jochen Stolla

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Frankfurter Musikleben

Ein Erfahrungsbericht

25.02.2021

Mit Online-Elementen arbeite ich in meiner Lehre seit eh und je. Aber das Wintersemester 2020/21 war noch einmal anders. Neben dem Projekt Werktextblog durfte ich zwei kurrikulare Seminare durchführen: „Lernvideos produzieren und einsetzen“ an der HfMDK Frankfurt am Main und „Frankfurter Musikleben im Spiegel aktueller journalistischer Texte“ an der Goethe-Universität. Beide rein online.

Meine Erfahrungen mit dieser intensiven Online-Lehre möchte ich hier teilen. Welche Ansätze und Methoden haben gut funktioniert, welche weniger? Welche Schlüsse ziehe ich in Sachen Online-Lehre? Vor allem gehe ich auf das Seminar „Frankfurter Musikleben“ ein.

Projektlernen

Die Studierenden sollten in meinem Seminar das Musikleben in Frankfurt am Main näher kennen lernen. Sie betrachteten es dazu durch die Brille des Journalismus. Das heißt: Sie analysierten Konzertkritiken mit Methoden qualitativer Forschung. Dabei sollten sie nebenbei etwas über Journalismus und Forschungsmethodik lernen.

Das Seminar war als gemeinsames Projekt angelegt. Wir spielten ein Forschungsvorhaben durch, von der Formulierung der Forschungsfragen bis hin zum abgeschlossenen Forschungsbericht. Die Idee des Projektlernens ist älter als Corona und auch älter als das Internet. Wie aber gerade Projektlernen ins digitale Medium (ins „digitale Zeitalter“) passt, hat etwa Lisa Rosa hier dargelegt.

Synchron und asynchron

Die wöchentlichen 90-Minuten-Termine einfach aus dem Seminarraum zu kopieren und im Videokonferenzraum einzufügen, das wollte ich auf keinen Fall. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen: Alles, was keine Gleichzeitigkeit erfordert, mache ich nicht in Videokonferenzen. Also keine Referate (die kann man sich als Aufzeichnung ebenso gut anschauen), wenige Feedbackrunden, Ideensammlungen, stilles Lesen (so etwas soll es in Seminaren noch geben). Stattdessen mehr Austausch im Gespräch, Absprachen treffen, Atmosphäre wahrnehmen. Dazu braucht man keine wöchentlichen Termine, allenfalls zweiwöchentliche. Dachte ich.

Unterschätzt habe ich dabei die Bedeutung, die ein Rhythmus fester Termine haben kann. Der Wunsch, sich jede Woche zu treffen, kam von den Studierenden, und die Treffen haben wahrscheinlich dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit und das soziale Miteinander über das Semster hinweg aufrechtzuerhalten.

Trotzdem ist vieles – sogar das Wesentliche im Projekt – außerhalb der Seminarsitzungen passiert. Recherchen, Textanalysen, schriftlich geführte Diskussionen (über Onlineformulare und Etherpads), informeller Austausch und schnelles Klären von Fragen über den Matrix-Chat.

Rolle des Lehrenden

Ein Lehrprojekt basiert darauf, dass die Lernenden seinen Fortgang wesentlich selbst tragen. Neues Wissen und neue Erkenntnisse erwerben sie weniger, indem dieses Wissen von einer lehrenden an eine lernende Person vermittelt oder gar auf sie übertragen wird (was ohnehin einen fragwürdigen Instruktionalismus bedeuten würde).

Entsprechend wird beim Projektlernen der Lehrende eher zu einem Lernbegleiter, zu einem Organisator, Moderator und Diskussionspartner. Und tatsächlich haben die Seminartermine – im Laufe des Semesters mehr und mehr – den Charakter von Gesprächstreffen angenommen, in denen wir offene Fragen des Prozesses besprochen, Zeitpläne und Zuständigkeiten fixiert und einander auf den aktuellen Stand des Projekts gebracht haben.

„Die Grenze zwischen Lernenden und Lehrenden ist fließend im Netz“, erklärt Philippe Wampfler hier. Das Seminar hat mir dies erneut deutlich werden lassen. Ich habe einen gewissen organisatorischen, thematischen und methodischen Rahmen vorgegeben (der im Laufe des Semesters immer einmal wieder modifiziert werden musste) und konnte hier und da ein paar inhaltliche Impulse zu Fragen der Journalistik, zu Forschungsmethoden und zum wissenschaftlichen Arbeiten geben. Die meisten Lerninhalte und Einsichten haben sich die Studierenden indes selbst erarbeitet, wobei sie einander mit ihrem unterschiedlichen Erfahrungshintergrund, Rückmeldungen und Diskussionsbeiträgen solidarisch unterstützt haben. Mein Eindruck war, dass gerade dadurch jede*r Einzelne von der individuellen Startposition aus voranschreiten konnte. Und diese Startpositionen lagen teils weit auseinander.

Technik und Tools

Im Seminar nutzten wir diese Tools:

Die Kombination hat sich mir als ambivalent erwiesen. Auf der einen Seite haben alle Tools ihre Zwecke gut erfüllt. Das, was sie leisten sollten, haben sie ohne allzu großen Overhead geliefert. Auf der anderen Seite: Einige der Werkzeuge waren den Studierenden zuvor unbekannt, und sie mussten sich dafür neu einarbeiten, registrieren oder Apps installieren.

Auch wenn ich sehr gerne etwa mit Matrix oder Overleaf arbeite, auch wenn ich immer noch glaube, dass eine Website einfacher aufgerufen ist ein Kurs in einem LMS – beim nächsten Mal werde ich sicher darüber nachdenken, wie viele neue Systeme ich meinen Teilnehmenden zumute. Wobei: Ganz allein das Standard-LMS der Uni Frankfurt, OLAT, hätte für die Seminarzwecke nicht genügt. Ein Spezialwerkzeug für qualitatives Kodieren hätten wir auf jeden Fall benötigt und eine Plattform für das kollaborative Schreiben. Und ob ein Chat in OLAT an die Intuitivität des Matrix-Raums heranreicht, scheint mir auch fraglich.

Werkstück

Das Modulhandbuch fordert als Studiennachweis: „Praktikumsbericht oder Werkstück“. Dies sollte im Falle des „Frankfurter Musiklebens“ ein Forschungsbericht sein, ausgearbeitet und an den Ansprüchen eines wissenschaftlichen Papers orientiert. Nein, natürlich wollte niemand damit eine etablierte, peer-reviewte Fachzeitschrift erobern. Es war immer noch ein Seminar für das Bachelor-Studium, und das Projekt war auf eine einsemestrige, zweistündige Lehrveranstaltung begrenzt.

Trotzdem gab das Forschungsideal die Richtung vor; das Ziel zu verfolgen, mit wissenschaftlichen Methoden relevantes Wissen zu generieren. Das hätte schief gehen können, und alle wären mit ihren Leistungspunkten, aber einem fragmentarischen Produkt in die Semesterferien gegangen.

Es ist aber nicht schiefgegangen. Ein Dreißig-Seiten-Aufsatz über das Konzertleben Frankfurts in der Pandemie ist abgeschlossen. Und ich reibe mir die Augen. Die Aussicht auf den stattlichen Artikel wird während des Semesters seinen Teil zur Motivation, zur Zielstrebigkeit und zum langen Atem der Gruppe beigetragen haben. Von Woche zu Woche wurde der Text jedesmal besser, differenzierter und präziser. Ich durfte dies mit Freude beobachten, für die Autor*innen war vielleicht auch das eine beflügelnde Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Wer will, kann den Bericht samt einer studentischen Perspektive auf das Seminar hier nachlesen.